Christliche stille Zeit
Stille ist im spezifisch christlichen Sinne implizit beziehungs-orientierte Stille: „Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft." (Psalm 62,2)
Die östlichen Religionen kennen keinen persönlichen Gott. Vielmehr ist die Rede vom „Es“: Das göttliche Geheimnis. Inneres Leer-werden ist Ziel der Meditation. Wenn Christen still werden, ist innere Leere Übergang, jedoch nicht Ziel. Ziel ist die Begegnung mit Gott. Solche Begegnung kann nicht „gemacht“ werden, auch nicht mit Hilfe von Meditationstechniken.
Meditationsübungen verhelfen aber dazu, dass wir unser menschliches „Gefäss“ (d.h.Körper, Seele, Geist) vorbereiten, dass Gottesbegegnung möglich wird. Ob und wann und was Gott dann schenkt, liegt nicht in unserer Hand. Die Form östlicher Stille- und Meditationsübungen ist sehr ähnlich der christlichen. (Weltanschauliche) Basis und Ausrichtung jedoch sind unterschiedlich. Gemäss der Bibel ist der Mensch „einerseits erlösungsbedürftig, andererseits nicht zur Selbsterlösung fähig. Der Buddhismus dagegen geht grundsätzlich davon aus, dass der Mensch aus eigener Kraft ins Nirwana eingehen kann, das heisst, dass er sehr wohl zur Selbsterlösung befähigt ist.
In manchen Medien wird der vermeintlich „gute Buddhismus“ (der Freiheit und Selbstbestimmung schenkt) dem scheinbar „bösen Christentum“ (mit seinem strafenden Richtergott, der Menschen unfrei lässt und verängstigt) gegenübergestellt. Christian Ruch fragt: „Macht der Buddhismus mit seinem Gesetz des Karmas, das mich selbst noch für die Fehler vergangener Leben büssen lässt, wirklich so frei? Und ist der Gott der christlichen Kirchen wirklich ein strafender Richtergott? Ist er nicht eher ein Gott, der durch das Werk seines Sohnes Jesus Christus die Menschen befreit?“
Christen mögen beklagen, dass viele Menschen sich eher dem Buddhismus zuwenden als dem Christentum. Sie scheinen dort Kraft für den Alltag und Antwort auf ihre Fragen zu finden. Christen können diese Tatsache aber auch zum Anlass nehmen, bei den reichen biblischen und kirchengeschichtliche Kraftquellen anzudocken.
Quelle des Textes: Ruth Maria Michel, VBG